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Sollte KI in der sozialen Arbeit (k)eine Rolle spielen?

Autorin: Prof. Dr. Annette Plankensteiner

Mit den Fortschritten der künstlichen Intelligenz und Robotik nehmen Fachkräfte in der sozialen Arbeit den wachsenden Einfluss der Digitalisierung auf die Rahmenbedingungen ihres Handels wahr. Auf der anderen Seite wird der Einfluss auf die pädagogischen Konzepte und den fachlichen Auftrag kategorisch ausgeschlossen (Roeske, 2018, S. 16).

Zwar ist in den letzten Jahren eine Zunahme von Fachliteratur zu den genannten Themen zu verzeichnen, inhaltlich liegt der Fokus allerdings auf dem Einsatz und Umgang mit digitalen Medien, einer möglichen Nutzung von social media oder online Tools in der Fallarbeit sowie auf Chancen und Gefahren, die sich aus dieser gesellschaftlichen Transformation für die Klientel und die verschiedenen Handlungsfelder ergeben. Zudem ist Digitalisierung bislang keiner fester Bestandteil der Ausbildung, ebenso spielt die fachliche Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz und Robotik bisher keine Rolle. Es stellt sich daher die Frage, worin diese distanzierte Haltung begründet ist. 

Ich zweifle also bin ich – die Zweifel haben System

Bildausschnitt: Statue, deren Kopf mit der linken Hand gehalten wird.

Soziale Arbeit ist eine Profession, die Arbeit am und mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen leistet. Ziele sind

  • Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen,
  • Benachteiligungslagen zu kompensieren, 
  • Teilhabechancen zu erhöhen und 
  • abweichende Lebensbewältigungsstrategien zu korrigieren. 

Soziale Arbeit handelt vereinfacht ausgedrückt im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle. In der konkreten Praxis ergeben sich hieraus oftmals Widersprüche, die nicht aufgelöst werden können. Man denke beispielsweise an einen Fall einer Kindeswohlgefährdung. Einerseits muss die Soziale Arbeit das Wohl des Kindes sicherstellen, andererseits sollen die Eltern dazu befähigt werden, gelingende Erziehungs- und Fürsorgearbeit zu leisten. Die Fachkraft muss deshalb gleichzeitig eine Hilfebeziehung zu den Eltern aufbauen, mit ihnen an den bestehenden Problemlagen arbeiten und gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen durchsetzen. Professionelles Handeln ist deshalb an die Fähigkeit zur Relationierung gebunden und dies kann nur gelingen, wenn die eigene Praxis beständig reflektiert wird. Reflexion bedeutet das eigene Handeln, gesellschaftliche Gegebenheiten, Bewältigungsstrategien der Klientel, institutionelle Bedingungen, sozialstaatliche Vorgaben vor dem Hintergrund theoretischer Wissensbestände und methodenbasiert systematisch kritisch zu hinterfragen. Insofern ist der Zweifel Ausweis professionellen Handelns und fester Bestandteil des professionellen Selbstverständnisses. 

Es ist zum Verzweifeln

Symbolbild

Kommen wir zurück zur Digitalisierung in der Sozialen Arbeit. Die Erfahrungen der Fachkräfte mit dem Einzug digitaler Technologien in ihrer Praxis sind durch ein hohes Maß an Fremdbestimmung und der Unverfügbarkeit von notwendiger Ausstattung geprägt. Soziale Arbeit sieht sich mit Herausforderungen konfrontiert, die das Arbeiten eher erschweren als zu einer Verbesserung der Praxis beitragen. Ich möchte dies an zwei Beispielen verdeutlichen. Mit der Digitalisierung der Falldokumentation rückt ein Computer zwischen die Fachkraft und hilfesuchender Person, der eigene Aufmerksamkeitsfenster erfordert, schließlich müssen die gesammelten Informationen in die entsprechende Eingabemaske aufgenommen werden. Da die bestehenden Programme jedoch kaum an der tatsächlichen Praxis der Sozialen Arbeit orientiert wurden, muss die Fachkraft gesammelte Informationen reduzieren und anpassen, damit eine Aufnahme überhaupt möglich wird. Es geht also keinesfalls um die persönlichen Vorlieben von Fachkräften, die lieber eine handschriftliche Notiz machen, sondern um die Unmöglichkeit selbst darüber zu entscheiden, was in welchem Fall dokumentiert werden soll. Selbst „digital natives“ verzweifeln an Vorgaben, in welcher die Nichtvorhersehbarkeit menschlichen Handels keinen Raum mehr findet. (Sagebiehl & Pankofer, 2018, S. 67) 

Im Fachdiskurs der Sozialen Arbeit besteht Konsens darüber, dass mit der Digitalisierung neue Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zum Klientel entstehen. Oft verfügen jedoch Fachkräfte der Sozialen Arbeit nicht selbstverständlich über die entsprechende Ausstattung mit Endgeräten und Zugängen zum Internet. Eine Befragung der Klientel mit einem App basierten Fragebogen in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe in einem meiner Forschungsprojekte scheitert schlicht an der Verfügbarkeit von Endgeräten und Internet. Fachkräfte nutzen daher vielfach ihre privaten Accounts und Endgeräte, um mit ihren Klient*innen in Verbindung zu bleiben. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Ausstattung einer Einrichtung mit bspw. Tablets Eingang in die örtliche Presse findet, also eine Schlagzeile wert ist.  In anderen Bereichen ist dies seit Jahren selbstverständlich, was aber bei den Entscheidungsträgern nicht immer angekommen ist.  

Im Zweifel für den Angeklagten

Symbolbild

Daher ist es kaum verwunderlich, dass Untersuchungen zur Nutzung und Akzeptanz der Digitalisierung Sozialer Arbeit zeigen, dass der Einsatz digitaler Technologien noch nicht für alle Beschäftigten in den sozialen Berufen zur Alltagspraxis geworden ist, gleichzeitig aber eine Nutzung nicht kategorisch abgelehnt wird. (Hoose, 2021, S. 103)

Ganz anders gestalten sich die Befunde, wenn es um den Einsatz von Robotern geht. „Unabhängig davon, ob es um den Einsatz von Robotern im sozialen Bereich oder in der stationären oder ambulanten Pflege geht, stößt diese Technologie auf Ablehnung (Hoose, 2021, S. 104f). Diese Einschätzung ist nicht verwunderlich, erscheint doch der Roboter durch sein Unvermögen zur komplexen Kommunikation und seiner starren Bewegungsabläufe menschlichen Akteuren als unterlegen. Eine gewisse Skepsis ergibt sich zudem aus dem Verhältnis zwischen künstlicher und natürlicher Intelligenz. Natürliche Intelligenz verstanden als Fähigkeit des Menschen abstrakt zu denken und aus diesem Denken zweckvolles Handeln abzuleiten, erweist sich bei der Ausgestaltung helfender Beziehungen als elementar, um komplexe, teils widersprüchliche, von Unsicherheit geprägte pädagogische Situationen zu bewältigen. Eine derartige Leistung kann künstlicher Intelligenz aufgrund der bestehenden Unfähigkeit zur Selbstreflexion nur schwer zugeschrieben werden. Letztlich erweist sich der Zweifel also als nicht ganz unberechtigt.

Ich zweifle also bin ich oder warum KI in der Sozialen Arbeit eine Rolle spielen sollte 

Rene Descartes fasste den Zweifel als Gewissheit für die Existenz des eignen Ichs. Wenn sich der Mensch über nichts sicher sein kann, seine Sinne ihn täuschen könnten, so ist die Tatsache zu zweifeln die einzige Gewissheit für das eigene Ich. „Da es ja immer noch ich bin, der zweifelt, kann ich an diesem Ich, selbst wenn es träumt oder fantasiert, selber nicht mehr zweifeln.“ (Descartes) 

In Analogie tangiert der Einsatz künstlicher Intelligenz die Frage nach der Legitimation des eigenen Handelns. Soziale Arbeit reagiert in ihrer Praxis bislang nur auf derartige Veränderungen, versucht sich zu arrangieren, und zeigt sich gegebenenfalls widerständig und skeptisch. Der Zweifel dient der Selbstvergewisserung und ist vor dem Hintergrund der geschilderten Erfahrungen durchaus verständlich.

Der Appell an die Soziale Arbeit kann deshalb nur lauten, sich aktiv mit ihrer fachlichen Expertise in den Prozess einzubringen, vom Reagieren ins Agieren zu kommen. Keine andere Disziplin kann diesen Prozess von fachlicher Seite begleiten. Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz können auch als Gestaltungsauftrag an die Soziale Arbeit formuliert werden, sich aktiv an den Prozessen dieser Entwicklung zu beteiligen.

Literaturverzeichnis

  • Hoose, F. et al. (2021). Von Robotern und Smartphones. In M. (. Wunder, Digitalisierug und Soziale Arbeit (S. 97-109). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
  • Roeske, A. (2018). Veränderte Fachlichkeit durch Digitalisierung. Sozial Extra, 3, S. 16.
  • Sagebiehl, J., & Pankofer, S. (2018). Digitale Medien, Macht und Soziale Arbeit. In Hammerschmidt,P. et al.: Big Data, Facebook, Twitter und Co. und Soziale Arbeit (S. 54-74). Weinheim : Beltz Juventa.

Blog von Prof. Dr. Annette Plankensteiner