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Roboter im Rechnungswesen? Dann aber intelligent! (Teil II)

Autor: Prof. Dr. Sebastian Richter

Im ersten Teil zu den Robotern im Rechnungswesen (ReWe) ging es um die vielfältigen aber bisher nur selten realisierten Anwendungsfälle und Chancen von Intelligent Automation (IA) im Rechnungswesen. Zusammenfassend kann man sagen, dass mit IA sogenannte „Softwareroboter“ zusammen mit Methoden der Künstlichen Intelligenz es ermöglichen, Aufgaben des Rechnungswesens selbstständig zu erlernen und anstelle von Menschen durchzuführen.

Roboterhand nutzt einen Taschenrechner

In diesem Teil werden die Herausforderungen von IA reflektiert, die es neben den Chancen natürlich ebenfalls gibt – sie hemmen aktuell noch die Nutzung von IA im großen Stil und sind daher Gegenstand der aktuellen Forschung. In Zukunft werden viel mehr Unternehmen diese Technologie nutzen, wenn die Herausforderungen überwunden sind.

Herausforderungen bzgl. des IA-Einsatzes im Rechnungswesen

Bei der Implementierung intelligenter Roboter sind Unternehmen derzeit mit einer Reihe an Herausforderungen konfrontiert. Abb. 1 zeigt diverse Herausforderungen, die in fünf Kategorien gruppiert sind und nachfolgend vorgestellt werden. Nur wer die Herausforderungen kennt, kann diese identifizieren und gezielt überwinden.

Beschaffung und Integration

Durch die IA-Implementierung verändern sich Aufgaben der Mitarbeiter. Ein Kompetenzaufbau ist nötig. Der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal ist eine wesentliche Herausforderung bei der IA-Nutzung. Bisherige Fachexperten müssen für die Grenzen der Technologie (RPA und IA) sensibilisiert werden und Know-How im Umgang mit großen Datenmengen aufbauen. Neben dem Kompetenzmangel bildet der Mangel an finanziellen Mitteln eine weitere Hürde. Bei Automatisierungsprojekten werden oft zeitlicher Aufwand sowie Kosten von Einführung, Wartung und Weiterentwicklung der Roboter unterschätzt. Durch die Kontextabhängigkeit bei der Auswahl des geeigneten Tools oder intelligenten Algorithmus ergibt sich eine weitere Schwierigkeit bei der Implementierung. Es gibt kein allgemeingültiges Rahmenwerk für IA. Geeignete intelligente Algorithmen müssen mit den richtigen Daten trainiert und die Modelle in die logische Schrittfolge des Vorgangs gebracht werden. 

Nach der Toolauswahl erfolgt die Integration in die bestehende IT-Landschaft. Zum Teil sind Altsysteme umzugestalten. Schnittstellen zu Altsystemen müssen ggf. geschaffen oder geöffnet werden, um den effektiven Datenabruf zu ermöglichen. Automatisierungslösungen bergen das Risiko der strukturellen Beeinflussung der IT. 

Governance

Beim Einsatz von IA muss bspw. geregelt werden, wie mit Änderungen von Robotern umgegangen wird und wer eventuelle Fehler eines Roboters verantwortet. Hier braucht es klare Rollenverteilungen zwischen Fachbereichen, wie dem ReWe, und der IT-Abteilung. 

Zudem können fehlende oder unzureichende gesetzliche Vorschriften die IA-Nutzung hemmen. Derzeit bestehen noch keine Rechnungslegungsstandards für Software-Roboter. Regulatorische Bedenken können damit das Wachstum der technischen Lösungen verhindern.

Darüber hinaus ist die Sicherstellung der Auditierbarkeit eine Herausforderung. Für alle im ReWe genutzten Systeme gilt die Anforderung der Nachvollziehbarkeit durch Prüfungsinstanzen. Somit braucht es Ansätze, die die Interpretierbarkeit und Erklärbarkeit von KI-Modellen erhöhen. KI-basierte transaktionale Systeme sollten durch Kontrollinstanzen überwacht werden. Es ist ein Governance-Prozess zu etablieren, der robotergestützte Transaktionen dokumentiert und kontrolliert.

Werden manuelle Tätigkeiten in digitale Prozesse überführt, besteht die Herausforderung, IT-Sicherheit sicherzustellen. Da die Prozesslogik über digitale Kanäle erreichbar wird, besteht das Risiko von Fremdzugriffen. Es wird daher ein ausgereiftes Identitäts- und Zugriffsmanagement notwendig.

Kooperation

Die Einführung von IA-Lösungen verunsichert betroffene Mitarbeiter. Diese assoziieren Roboter oft mit Arbeitsplatz- und Kontrollverlust. Die Nutzung von IA ist somit von diversen organisatorischen und kulturellen Unsicherheiten begleitet und Widerstände seitens der Mitarbeiter können die IA-Einführung hemmen. Die Überwindung dieser Widerstände sowie kulturelle Bereitschaft und Motivation ist durch erfolgreiches Change Management zu fördern.

Die Einbindung der IT-Abteilung bei Automatisierungsprojekten ist unabdingbar. Deshalb ist die Zusammenarbeit von ReWe und IT-Abteilung sicherzustellen. Während die Fachabteilungen Automatisierungsprojekte oftmals treiben, stellt die IT-Abteilung die Infrastruktur für sichere Operationen bereit.

Neben der Zusammenarbeit von ReWe und IT erfordert IA auch eine neue Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Die Rolle der IA soll seitens der Mitarbeiter als unterstützend und kollaborativ wahrgenommen werden, wodurch die Herausforderung der Mensch-Maschine-Arbeitssynchronisation besteht. Dabei nehmen Mitarbeiter eine überwachende Rolle ein, übernehmen die Koordination bei Systemfehlern und bearbeiten Ausnahmen. Es braucht Vertrauen in die IA-Lösung. Es besteht die Schwierigkeit, den Autonomiegrad solcher Lösungen zielgenau zu bestimmen.

Prozessmanagement

Grund des Scheiterns von Automatisierungsprojekten kann auch eine fehlende Prozessstandardisierung darstellen. Prozessdokumentationen sind oft unvollständig oder veraltet und Mitarbeiter bearbeiten Prozesse unterschiedlich. Im Zuge der Automatisierung muss daher eine kritische Betrachtung des Prozesses und ggf. eine Prozessumgestaltung stattfinden. Das Prozessdesign ist eine der wesentlichen Voraussetzungen erfolgreicher Automatisierung. Außerdem ist die oft kurzfristige Betrachtung der Prozesse herausfordernd. Typische Automatisierungsanwendungen sind häufig Übergangslösungen. Notwendig ist daher eine End-to-End-Sicht auf den Vorgang, damit keine Automatisierung von Teilschritten in schlecht definierten Prozessen stattfindet.

Technologie

IA befindet sich im frühen Stadium und es besteht Mangel an universell anwendbaren Modellen, die den Kern der Technologie bilden. Daher stellt die begrenzte Funktionalität und Reife der Technologie eine Herausforderung dar. KI-basierte Systeme liefern zwar bereits gute Ergebnisse im transaktionalen Bereich, diese stellen jedoch Einzelfähigkeiten in einem eng definierten Problemraum dar. Durch die bislang geringen Lernfähigkeiten wird das Potenzial noch nicht vollständig ausgeschöpft. Beispielhaft wird hier die Interpretation von Rechnungslegungsvorschriften und Standards genannt. Diese ist technisch noch nicht realisierbar, womit menschliche Problemlösungskompetenz weiterhin erforderlich bleibt.

Um das Potenzial von IA ausschöpfen zu können, bedarf es zudem eines professionellen Datenmanagements in der Organisation. Daten müssen auffindbar, nutzbar und qualitativ hochwertig sein. Das initiale Datenset braucht hinreichende Vielfalt und eine ausreichende Menge an Trainingsdaten, damit der Algorithmus sich der Problemstellung nähern kann. Die Effizienz von KI und damit von IA ist von der Konsistenz und Menge der verfügbaren Daten abhängig, was in vielen Organisationen derzeit eine Herausforderung darstellt.

Handlungsempfehlungen

IA ist im ReWe, verglichen mit RPA und CA, noch nicht gleichermaßen in Nutzung. Sowohl in Forschung als auch Praxis ist die Durchdringung von IA geringer als die von RPA. Gleichzeitig birgt diese Automatisierungstechnologie aber Potenzial, das über die reine Kostenreduktion hinaus geht und die Fähigkeiten von RPA ergänzt und erweitert. Daher ist es mit Hilfe des oben genannten Rasters notwendig, die Herausforderungen zu kennen und zu überwinden. Dabei spielen noch folgende Aspekte eine Rolle. 

Durch die Technologie entstehen im ReWe neuartige Rollenprofile, die andere Kompetenzen fordern, wie z.B. der Umgang mit Daten. Das Recruiting sollte sich künftig nicht nur auf Bewerber mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund konzentrieren, sondern die Attraktivität des Bereichs für Kandidaten mit technischen Kompetenzen, wie z.B. Wirtschaftsinformatiker erhöhen. Diese können das Wissen der Fachexperten um technologisches Know-How ergänzen. Die Chancen der IA-Nutzung über die reine Effizienzsteigerung hinaus sollten von Beginn an transparent kommuniziert und Möglichkeiten für die Fachexperten im ReWe zur Mitgestaltung von IA-Lösungen geschaffen werden, um Widerstände zu verringern. Die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit von ReWe und IT erfordert eine Abkehr von der organisatorischen (Silo-)Struktur.

Interdisziplinäre Arbeitsgruppen mit Personal verschiedener Fachbereiche, inklusive IT-Abteilung, können der IA-Nutzung zum Erfolg verhelfen. Bestehen Bedenken wegen der Auditierbarkeit intelligenter Roboter, kann der Einsatz von Algorithmen, welche der sogenannten „Explainable“ KI zugeordnet werden, Abhilfe schaffen. Im Gegensatz zur Blackbox-KI ist die Entscheidungsfindung des Algorithmus hier transparent, nachvollzieh- und damit prüfbar.

Es wird trotz aller operativen und strategischen Herausforderungen kaum ein Weg an der Integration von KI in Automatisierungslösungen im ReWe vorbeiführen. Deshalb gilt es, sich den identifizierten Herausforderungen in der Praxis zu stellen, um ein modernes ReWe mit neuen Aufgaben in Kooperation mit digitalen Kollegen zu schaffen.

Die Ausführungen entstammen im Original der Arbeit:

Lena Eschle & Sebastian Richter (2022): Die Zukunft der Automatisierung im Rechnungswesen. Controlling & Management Review, 66, S. 8-15, https://link.springer.com/article/10.1007/s12176-022-0506-x

Besonderer Dank gebührt Frau Lena Eschle, die als Masterstudentin am CAS der DHBW die Basis zu dieser Arbeit gelegt hat.

Blog von Prof. Dr. Sebastian Richter