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Sind Unternehmen in Sachen Führung für die digitalisierte Welt gerüstet?

Mit dieser Fragestellung hat sich Katja Stamer, Studiengangleiterin Wirtschaftsingenieurwesen am Campus Horb der DHBW Stuttgart beschäftigt. Ihre Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2019/2020 wurden jüngst vom Springer-Verlag in der Zeitschrift für Arbeitswissenschaft veröffentlicht.

Katja Stamer, Studiengangleiterin Wirtschaftsingenieurwesen am Campus Horb
Bild: Prof. Dr. Katja Stamer, Campus Horb

„Hinter dem Titel “Berücksichtigung der Beschäftigten im Prozess der Digitalisierung aus Sicht von Personalverantwortlichen” finden sich alltagstaugliche Erkenntnisse, die für jedes Unternehmen von direktem Nutzen sein können“, sagt Katja Stamer, Studiengangleiterin am Campus Horb der DHBW Stuttgart. Stamer hat sich schon früh mit dem Thema Organisationspsychologie auseinandergesetzt. Deshalb ist es ihre besondere Motivation, die Auswirkungen der Digitalisierung nicht nur durch die Brille der technischen Entwicklung oder der Wirtschaftlichkeit, sondern auch mit dem Blick auf die Menschen zu betrachten.

Zwar hat sich die Forschung schon viel mit der Digitalisierung beschäftigt, aber bisher kaum mit der Frage, wie aus der Sicht von Personalverantwortlichen Menschen in der neuen digitalen Arbeitswelt leben. Landläufig wird davon ausgegangen, dass die Digitalisierung Prozesse einfacher und schneller macht und dass die Menschen dadurch entlastet sind. „Das steht“, so Katja Stamer, „ im Widerspruch zu der Tatsache, dass psychische Belastungen seit 40 Jahren kontinuierlich zunehmen“. Das liege daran, dass die Menschen durch den sogenannten „Technostress“, sowohl bei der Arbeit als auch im privaten Umfeld einen zusätzlichen Druck erleben. Verursacht werde das durch mehr Kontrolle und eine höhere Arbeitsmenge.

Deshalb war es Ziel des Projekts, den Status Quo des Zusammenspiels von Führung und Führungsstilen im Verhältnis zu den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiterschaft unter den veränderten Bedingungen einer digitalisierten Arbeitswelt zu erheben. Eine zentrale Fragestellung war dabei, ob und inwieweit Führungsansätze an diese neuen Rahmenbedingungen angepasst wurden, um Beschäftigte zu schützen und gesund zu erhalten.

Unter diesem Blickwinkel wurden Unternehmen und Führungskräfte bisher noch kaum betrachtet. „Das ist nicht wirklich überraschend“, sagt Katja Stamer, „denn die Voraberhebung zum Projekt hat bereits gezeigt, dass sich Führungskräfte vorrangig mit der Technik auseinandersetzen – nicht mit den Mitarbeitenden“. So kristallisierte sich bereits in den ersten Gesprächen die Frage heraus: Was tun wir in diesem Bereich und ist das genug?

Befragt wurden Führungskräfte unterschiedlicher Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie Expertinnen und Experten für Arbeitssicherheit. Dabei zeigte sich, dass gesundheitserhaltende und -fördernde Angebote für die Mitarbeiterschaft entwickelt wurden, diese aber offensichtlich nicht wirksam genug sind, die psychische Belastung und die Zahl der Folgeerkrankungen zu senken.

Die Befragung der Unternehmen zeigte, dass die Digitalisierung ein Veränderungsprozess ist, bei dem vor allem die Menschen insbesondere auch durch die Führungskräfte begleitet, aufgefangen, motiviert und unterstützt werden müssen.

Die Befragung zeigt aber auch, dass, obwohl die psychische Gefährdungsbeurteilung seit 2013 im Arbeitsschutz verankert ist, diese von über 50 % der befragten Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren nicht wie vorgesehen durchgeführt wurde. Dabei nehmen größere Unternehmen diese Verantwortung häufiger wahr als kleinere. Ebenso existieren in größeren Unternehmen durchaus Konzepte, Führungsstrukturen und Führungsstile zu überdenken, allerdings wurden diese zum großen Teil noch nicht konkretisiert.

Die befragten Unternehmen waren sich jedoch einig: Wir müssen unsere Führungskräfte schulen und für die Auswirkungen einer digitalisierten Arbeitswelt auf die Psyche der Mitarbeiterschaft sensibilisieren. „Diese Sensibilisierung wurde im Grunde bereits durch die Studie selbst erreicht“ resümiert Katja Stamer. Das erscheint umso wichtiger, als die Thematik durch die Corona-Pandemie zusätzlich vermutlich noch an Relevanz zunehmen wird. Homeoffice und mobiles Arbeiten treiben die Digitalisierung weiter voran und bringen gleichzeitig neue Stressoren in die Arbeitswelt, wie zum Beispiel eine ständige Erreichbarkeit, das Verschwimmen zwischen Arbeit, Familie und Freizeit, weniger persönliche Kommunikation mit Vorgesetzten und der Kollegenschaft, also insgesamt eine deutlich veränderte Arbeitsorganisation.